Mira Sanders
In der Serie Ane(c)dote (2009), die sie während eines Aufenthalts in Charleroi auf Einladung der Vereinigung Incise durchführt, spielt sie mit den Planlagen und der Tiefenschärfe und führt so den Beobachter über das Zusammenlegen von unterschiedlichen Elementen in die Irre. Diese « subjektiven Karten » der Stadt Charleroi sind nur Fragmente der mehr oder weniger treuen Übertragung der Wirklichkeit der städtischen Landschaft. Die Künstlerin fügt ihre eigene Vision hinzu, die im Laufe der Entdeckungen und Begegnungen von dem angereichert wurde, was ihre Gesprächspartner ihr gezeigt oder anvertraut haben. Sie verbindet lose Elemente und geographisch, soziologisch oder historisch entfernte Fragmente in ein Kaleidoskop, das die Vielfalt der Standpunkte und nicht die Einheitlichkeit eines vielwissenden Beobachters bevorzugt.
Diese methodologische und technische Wahl ist mehr als nur eine Frage der Form, es soll auch ein neuer Vorschlag der symbolischen Darstellung der Stadt sein. Die komplexeren Zeichnungen von Mira Sanders, die nicht so autoritär und vor allem nicht so aufgeteilt wie Bilder mit nur einem Fokuspunkt sind, konfrontieren im gleichen Bild verschiedene und sogar widersprüchliche oder konfliktuelle Bilder. Das, was sich im klassischen Architekturbild, absichtlich außerhalb des Blickfeldes oder nur am Rand befindet oder was üblicherweise nur angesprochen oder erwähnt wird (im besten Fall), bzw. was vergessen oder verneint wird (im schlimmsten Fall), besteht jetzt mit den anderen Elementen im gleichen Bild.
Die Kompositionen von Mira Sanders krempeln somit die Hierarchie des Wahrnehmungssystems um, das unter anderem von der Architekturzeichnung organisiert wird. Die symbolische Verteilung zwischen dem Vorder- und dem Hintergrund, das Zentrum und die Umgebung, die Hauptaktivität und das, was als Anekdote oder sogar als Dekor betrachtet wird, alles wird durch die vielfältigen Blickwinkel in Frage gestellt. Ihre Zeichnungen organisieren die Wirklichkeit anhand von Fluchtlinien, die den Blick des Autors in einem Punkt kondensieren, - der symbolisch der Punkt der zentralen Macht ist -, aber laut der vielfältigen Blickwinkel der Stadt. So löst die Einseitigkeit eine Vielfalt von möglichen « Gegenrichtungen » auf.