SUPERDEMOKRATIE - Der Senat der Dinge

Drei Kulturinstitutionen werden im Oktober während der Ausstellung SUPERDEMOKRATIE mit dem belgischen Senat im Dialog stehen. BPS22 in Charleroi, BOZAR in Brüssel und M HKA in Antwerpen geben der aktuellen Problematik des Senats eine kulturelle Dimension

1.10.2017 - 31.10.2017

Jacques Charlier

°1939
Born in Liège, BE
Lives in Liège, BM
Born in , BE

Der lustige, undefinierbare Künstler Jacques Charlier, der die Kunst einfach nicht als etwas (zu) Ernstes sehen will, definiert sich als radikaler Eklektiker. Als Jugendlicher verspricht er sich, Künstler zu werden, der sich mit allem beschäftigt und auf nichts verzichtet. Da seine Eltern ihn nicht auf der Akademie anmelden wollen, geht er auf eine Mechanikerschule und lernt als Autodidakt Kunstgeschichte. Er liest, sammelt, besichtigt und kopiert die großen Meister, bis er, laut den eigenen Angaben, zur « Jukebox der Malerei » wird. Um seine Freiheit zu gewinnen und seinen Traum umsetzen zu können sucht Jacques Charlier eine bezahlte Arbeit für seinen Unterhalt : er wird Angestellter im Technischen Provizinaldienst von Lüttich (STP) von 1958 bis 1978 und Professor für Graphik an der Königlichen Akademie der Schönen Künste von Lüttich von 1978 bis 1999.

Seine künstlerische Karriere beginnt in den 60er Jahren. Seine erste Ausstellung richtet sich auf eine Sammlung von neo-dadaistischen Objekten, die mit Fotografien kombiniert werden. 1963 beginnt er eine Kollektion von professionellen Fotografien mit der Zusammenarbeit von André Bertragn, mit dem er im STP in Lüttich arbeitet. In dieser Zeit sind Pop Art und der Neue Realismus der große Renner. Er stellt sich Fragen über das Modephänomen und entwickelt eine kritische Sprache gegenüber der Geschichtlichkeit in der Kunst, was später zum zentralen Thema seines Ansatzes wird. Dann schafft er transparente Foto-Vergrößerungen, die er in Leuchtkisten auf Platten befestigt, aber er zerstört sie, wie alle vorherigen Collages. Anschließend beginnt er mit dem Entwurf von Gemälden mit schwarzen Stiften, auf denen Objekte, Szenen mit Personen, Betonblöcke erscheinen. 1966 erhält er eine Auszeichnung bei der Belgischen Jungen Malerei.

Von 1965 bis 1969 gehen seine Werke in unterschiedliche Richtungen : musikalische und videografische Versuche, Performance-Konferenzen über die Kunst, poetische Texte, Ausgabe einer Zeitschrift, Radiosendung über die Gruppe Total’s[1], Gründung eines Entzugszentrums für Künstler usw. Mit Marcel Broodthaers besucht Jacques Charlier immer häufiger die belgischen Galerien. Er trifft dort Kosuth, Toroni, Buren, mit denen er sich anfreundet. 1970 begegnet er Fernand Spillemaeckers, der seine Galerie MTL in Brüssel eröffnet hatte und die erste berufliche Fotoausstellung des STP organisiert, die aufgrund des Aufblühens der minimalistischen und konzeptuellen Kunst zum Erfolg wird. Nach den Paysages professionnels (professionelle Landschaften) schafft Jacques Charlier die Paysages urbain, familial et utilitaire (städtische, familiäre und nützliche Landschaften) im Widerspruch zum trendigen Minimalisums, die Paysages artistiques (Landschaften der Kunst) verteidigen die Idee, « einen echten Baum zu malen » und die Paysages culturels (kulturelle Landschaften), eine Audio-Kassette enthält die Aufnahme einer Vernissage. Es ist ebenfalls die Zeit der Photographies de vernissage (1974/1975), einem ersten Comic (Rrose Melody, 1978), Karikaturen der Welt der internationalen Kunst und der musikalischen Versuche.

Zu Beginn der 80er Jahre kehrt Jacques Charlier zur Malerei zurück und parodiert die Rückkehr auf den Markt der bildlichen Darstellung (die Serie der Plinthures). 1986 lässt er mit dem in Gent für die Ausstellung Chambres d’amis (Gästezimmer oder Zimmer für Freunde) gemalten Bild Chambre d’ennemi (Zimmer für Feinde) seinem wachsenden Interesse für die Inszenierung mit der Beteiligung von lebenden Schauspielern, der Kombination von Möbeln und Objekten zur Schaffung fantastischer Bilder freien Lauf. Ab 1986 und bis in die 90er Jahre greift er auf Verfahren zurück, die er übertrieben regressiv will. Seine Bilder in alten und künstlich abgenutzten Rahmen werden von Objekten vom Flohmarkt, Modellfiguren usw. begleitet, an der Grenze der Karikatur. Er erschließt verschiedene Themen wie die Jungfrau von Orleans oder die Heilige Rita, als Schutzheilige der aussichtslosen Sachen.

1988 stellt er unter einem Pseudonym Peintures-Schilderijen vor. Eine Kollektion von 15 Künstlern, die von A bis Z erfunden sind (sogar die Lebensläufe), um eine neue Stilrichtung zu schaffen, Verwirrung zu stiften und die künstlerischen Ströme in einer implosiven Umwelt auszulegen.

In dieser Zeit schafft er große Werke, in denen Malerei und Objekte mit einem allgemeinen Thema verbunden werden. Er unterstreicht die Manipulation, zu der Bilder dienen können, auch in der Kunst. Der Humor und die poetische Erinnerung tragen jedoch dazu bei, dass das Werk nicht unnötig moralisch auftritt. Anhand  des Adjektivs « zerebral », das sehr oft von der Kunstkritik genutzt wird, denkt er sich den entsprechenden Malereistil aus, der sich darauf bezieht, und fügt ein Hirn aus Keramik auf einem Sockel hinzu.


[1] Von 1965 bis 1968 führt Jacques Charlie die unterirdische Lütticher Zeitschrift Total’s, eine kleine Zeitschrift, die in mehreren Kopien erscheint, sowie eine Gruppe Happenings, die sich mit der Verstädterung und der Ökologie beschäftigt. Eines der bedeutendsten Happenings findet 1967 statt, ein Demonstrationstag gegen die Atomkraft. Die Gruppe Total’s zieht durch die Straßen Brüssels mit Heftpflaster auf den Lippen, einer durchsichtigen Fahne und ebenfalls durchsichtigen Faltblättern.

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