SUPERDEMOKRATIE - Der Senat der Dinge

Drei Kulturinstitutionen werden im Oktober während der Ausstellung SUPERDEMOKRATIE mit dem belgischen Senat im Dialog stehen. BPS22 in Charleroi, BOZAR in Brüssel und M HKA in Antwerpen geben der aktuellen Problematik des Senats eine kulturelle Dimension

1.10.2017 - 31.10.2017

Marthe Wéry

°1930 †2005
Born in Etterbeek, BE
Died in Brussels, BE

Marthe Wéry (1930-2005) gehört sicher zu den wichtigsten belgischen Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2001 hat sie infolge einer Retrospektive im Bozar anlässlich der belgischen Ratspräsidentschaft der Europäischen Union zusammen mit dem Fotografen Dirk Braeckman und dem Bildhauer Jan Fabre an einem Integrationsprojekt mehrerer Werke im Königlichen Palast von Brüssel mitgewirkt.

Sie ist ebenfalls über bedeutende Ensembles in den meisten Kollektionen der belgischen Museen anwesend (MRBA, S.M.A.K, M hka, MuZée) und im Ausland unter anderem in den Kollektionen des Centre Pompidou und dem Museum der Modernen Kunst der Stadt Paris. Es ist jedoch im BPS22 Kunstmuseum der Provinz Hennegau, wo die meisten ihrer Werker zu sehen sind.

Die im Jahr 1930 in Brüssel geborene Marthe Wéry hat als freie Studentin in Malerei an der Grande Chaumière in Paris studiert und Kupferstich im Atelier 17 mit Stanley William Hayter gelernt, und gleichzeitig als Autodidakt gezeichnet. Nach einigen Forschungen unter anderem im Bereich der Zeichnung (Landschaften, Aktbilder, Schlachtszenen) fasst sie in der belgischen Szene Fuß mit ihren geometrischen Stichen, die vom Konstruktivismus inspiriert sind (erste persönliche Ausstellung in der Galerie Saint Laurent in Brüssel). Diese Arbeiten zeichnen sich durch die Korrektheit ihrer Komposition und die Dynamik der Flächentextur aus, von der sie alle Möglichkeiten erschöpft. Es folgen einige geometrischer Gemälde, die direkt von ihren Forschungen in den Kupferstichen beeinflusst waren und in denen die Herausforderungen dieser Technik zusammengefasst waren : materieller Träger, Variationen in der Textur und Spieglung vom Licht, unter anderem durch die Nutzung von Spraybomben, die leichte fleckige Flächen entstehen lassen.

Zu Beginn der 70er Jahre nimmt sie eine Form des Minimalismus an, der von grauen Kompositionen mit dichten Linealstrichen geprägt ist ; zuerst auf Leinwand, dann auf großformatigem Papier mit unterschiedlichen Texturen. Ihre undeutlichen Formate mit den unsicheren Kontouren unterstreichen die dialektische Dynamik zwischen Struktur und Format; ihre knochige Textur hält das Licht fest. Sie achtet ferner darauf, dass jedes Element selbstständig erscheint ; der Träger ist sichtbar, die Tinte wahrnehmbar, das Format des Trägers sticht deutlich hervor. Die internationale Szene wird hiermit auf Marthe Wéry aufmerksam und sie 1974 nimmt an der Ausstellung Fundamental Painting, im Stedelijk Museum in Amsterdam und dann an der Documenta 6 in Kassel, Deutschland teil.

1982 bedeutet ihr Eingriff im belgischen Pavillon anlässlich der Biennale von Venedig die große Rückkehr von Farbe in ihrem Werk. Sie setzt das Jahrzehnt fort, indem sie die radikalen Experimente vervielfältigt, die die wesentlichen Bestandteile des Gemäldes auseinander nehmen : Träger, Form, Rahmen, Farbe. Es sind die Serien Montréal, Sao Paulo oder a/d Drecht. Die Bilder in unterschiedlichen Formaten sind jeweils ein « Spritzer » Farbe auf einer weißen Wand. Die Spannung zwischen Form und Format verschiebt sich diesmal auf die Mauer. Die Architektur des Ausstellungsortes nimmt einen entscheidenden Platz im Endergebnis ein.

Wenn der Anfang der 80er Jahre durch die Rückkehr von Farbe gekennzeichnet ist, so  ist das Ende dieses Jahrzehnts und der Anfang des nächsten der Beginn neuer Forschungen, die zu radikalen Serien führen: a/d Drecht sind Serien von Platten oder Gemälden, in denen MDF in den Rand geprägt ist. Das Format der Platte wird durch einen Rahmen geschlossen, von dem gewisse Seiten offen sind. Der Tiefe der blauen Farbe wird durch die Brutalität der Platte widersprochen. Die Spannung zwischen der Fläche in Blau und dem rohen Träger wird einige Jahre später in einer anderen Serie noch verschärft, die zum ersten Mal im Museum der Modernen Kunst in Paris bei der Ausstellung L’Art en Belgique. Un point de vue (die Kunst in Belgien : ein Blickwinkel) gezeigt wird : eine in neutralem Grau gefärbte Platte ruht auf einem der 7 rohen Holzplatten. Mit dieser historischen Serie erreicht Marthe Wéry einen seltenen Punkt in ihrer Fragestellung über die Träger der Malerei und ihre Grenzen.

Zu Beginn der 80er Jahre schafft Marthe Wéry eine Reihe von Gemälden in einem minimalistischen Grau, das von abgeflachten horizontalen oder vertikalen Linien durchquert werden, so dass die verschiedenen Ebenen getrennt werden. Diese « Relief- » Gemälde verlassen die ebene Fläche, um den Raum in einem präzisen Rhythmus zu strukturieren, der die Wahrnehmung der einheitlich gefärbten Flächen verändert. Eine echte plastische Rhythmik scheint die Ebenen des Gemäldes zu verändern, und somit auch die umliegende Architektur. Ein Raum aus zwei gefärbten Holzpaneelen, die etwas versetzt aufeinanderliegen und gegen die Wand lehnen, zeigt diesen neuen Grenzpunkt, den die Künstlerin im Auseinandernehmen der Bestandteile des Gemäldes erreicht.

Mitte der 90er Jahre entwickelt Marthe Wéry « neue Malweisen », um die Potentiale der Fläche des Gemäldes zu erschließen ; auf eine radikale Periode folgt eine Periode mit mehr Farbe aber immer noch sehr streng, wo verschiedene ältere Sorgen deutlich werden (Architektur, Beleuchtung usw.). Das ist der Fall der offenen Serie Calais, die 1995 begonnen wurde und mit dem Tod der Künstlerin beendet wurde : eine große Installation von MDF-Platten, die mit Himmelblau bedeckt sind, vom dunklen Blaugrau auf ein Weißblau mit einer großen Frische, die je nach Ausstellungsraum anders konfiguriert werden kann. Die Einheit, die heute als « variables Medium » bezeichnen, d.h. eine Art plastische Partitur (im musikalischen Sinn des Wortes), die bei jeder Präsentation neu ausgelegt werden kann. Wie jede musikalische Interpretation ist die Präsentation Gegenstand einer unterschiedlichen Bewertung des Werks.

Marthe Wéry verstirbt im Jahr 2005 kurz nach ihrer letzten Ausstellung, Les Couleurs du Monochrome, das vom BPS22 im Museum der Schönen Künste von Tournai im Rahmen von Lille 2004, Europäische Kulturhauptstadt organisiert wurde.